Unsere Kleinbahn
von Winfried Himmerich
Als etwa Mitte des 19.Jahrhunderts die Staatsbahn auch durch den Westerwald geplant wurde, war vorgesehen, dass diese auch von Selters kommend die Strecke nach Dierdorf
über Herschbach nehmen sollte. Da bekam aber ein in Herschbach lebender Postbeamter Angst, dass er seine Arbeit verlieren würde. Er glaubte, dass er dann mit seiner von zwei Pferden gezogenen
Postkutsche keine Post und auch keine Reisende mehr transportieren könne. Resultat: Die Herschbacher lehnten die Streckenführung über Herschbach ab. Darüber zu sinnieren, was wäre, wenn – ist
vertane Zeit.
Nachdem man Mitte der 70er Jahre auf einem Acker Quarzitsteine gefunden hatte, wurde im Jahre 1892 der erste Quarzit-Steinbruch in Herschbach im Gebiet “Auf der Heide“ eröffnet. Es begannen die
so genannten “Goldenen Herschbacher“ Jahre. Bereits zehn Jahre später arbeiteten über 60 Männer im Steinbruch. Doppelter “Verdienst“ brachte für die damalige Zeit unerwarteten Segen: Einmal durch
Verleihen der Felder/Wiesen für 99 Jahre zur Ausbeutung und einmal durch die gute Entlohnung der schweren Handarbeit im Bruch selbst. Wer die größten Häuser inmitten Herschbachs kennt (Wirtgens
Haus wurde mittlerweile abgerissen), der weiß, wohin Vieles der “Goldenen Jahre“ gegangen ist.
Wie und womit können wir das feuerfeste Gestein nach Selters oder Marienrachdorf zur Staatsbahn transportieren. Mit Pferdefuhrwerken war das zu umständlich und zu teuer. Da die Sache mit der
Staatsbahn “vergeigt“ war, kam man auf die Idee, eine “Kleinbahn“ zu installieren. Man gründete in Herschbach ein Komitee, welches 1895 ein Gesuch beim Regierungspräsidenten in Wiesbaden
einreichte. Man bat darin um die Genehmigung “Zum Bau einer Schienenverbindung von Marienrachdorf oder Selters nach Hattert oder Hachenburg“.
Die Genehmigung und Planung
Begründet wurde das Gesuch unter anderem mit dem Abbau und
Transport wertvoller Naturschätze, vor allem mit dem Quarzitvorkommenaus dem Herschbacher Becken. Auch Sand, Tonerden und Basalt würden hier abgebaut.
Der Regierungspräsident leitete das Gesuch befürwortend weiter an das
Ministerium für öffentliche Arbeiten in Berlin. Mit Datum vom 29. Juni 1895 verwies der zuständige Minister auf einen Erlaß für Kleinbahnen vom 28. Juli 1892 und auf die Möglichkeit, unter
Mitwirkung der Königlichen Eisenbahndirektion Frankfurt am Main das Gesuch zu genehmigen.
So schnell und problemlos wie man sich nun den Fortschritt des Vorhabens vorstellte, ging es aber nicht. Bis zur endgültigen Genehmigung dauerte
es noch vier Jahre. Zunächst mußte die Finanzierung des Vorhabens gesichert und ein Bauunternehmer gesucht werden. Da der Staat sich an
dem Projekt beteiligen sollte, mußte eine Aktiengesellschaft gegründet werden.
Als Bauunternehmer konnte die Aktiengesellschaft für Bahnen und Tiefbauten in Berlin-Schöneberg mit dem Vorsitzenden Philipp Balke
gewonnen werden. Nachdem Balke seine Entwürfe einige Male überarbeitet hatte, erteilte der Regierungspräsident am 4. Juli 1899 die
Genehmigung zum Bau der Kleinbahn. Die Pläne konnten nun offengelegt werden. Bald waren die Einwendungen der Betroffenen ausgeräumt. Nun gründeten 11 Personen aus Wirtschaft und der Behörden eine
Aktiengesellschaft.
Aktionäre waren unter anderem Philipp Balke, ein Kaufmann Kähler und die Landräte von Montabaur und Marienberg für die Ober- und
Unterwesterwaldkreise. Sitz der Gesellschaft war Berlin. Der Ober- wie auch der Unterwesterwaldkreis waren jeweils mit 50.000 Mark mit Aktien
B und jeweils mit 42.000 Mark mit Aktien C beteiligt.
Die Aktiengesellschaft, die mit einem Gesamtkapital von 1.664.000 Reichsmark ausgestattet war, schloß am 12. März 1900 mit Balke als
Generalunternehmer einen Bau- und am 22. März des gleichen Jahres einen Betriebsvertrag ab. Balke verpflichtete sich, bis zum Jahre 1912 den
Betrieb der Bahn im Pachtverhältnis zu führen und dafür der Aktiengesellschaft jährlich 49.000 Mark Vergütung zu zahlen.
Nach den Rentabilitätsberechnungen des Generalunternehmers Balke mit Einnahmen am Personen- und Güterverkehr von 123.000 Mark verblieben
bei errechneten Ausgaben von 85.000 Mark jährlich ein Überschuß von 38.000 Mark. Dies allerdings war graue Theorie. Auch Balke wußte, daß
nur ein erweitertes Schienennetz zu einem ertragreichen Geschäft führen konnte.
Er plante also von Anfang an die Kleinbahn bis zum Rhein und bis zur Sieg für den Güterverkehr zu erweitern. Auch ein Anschluß über den Schenkelberger Kopf bis nach Hartenfels wurde in Erwägung
gezogen. Das "Schmanddeppen" war als Ausflugsziel ein markanter Punkt in der
Holzbachebene. Ausflugsverkehr erwartete man auch zum Wallfahrtsort Marienstatt.
Die Schienenführung über den Schenkelberger Kopf bis nach Schenkelberg war bereits festgelegt. Es wurde aber nichts daraus.
Die Eröffnung
Im Jahre 1901 wurde die Kleinbahn Selters – Hachenburg mit Sitz in Herschbach eröffnet. Notwendig für Unterkunft und Pflege/Reparatur vor
allem der Zugmaschinen war eine Halle. Insgesamt wurden über die Dauer der Kleinbahn eingesetzt: Drei Dampfloks, eine Diesellok und ein
Triebwagen.
Die Kleinbahn berührte von Selters kommend die Orte Goddert, Rückeroth, Herschbach, Mündersbach, Höchstenbach, Wahlrod, Nieder-, Mittel-,
Oberhattert. Die Endstation war Hachenburg. In Herschbach hatte die Kleinbahn ihren Heimatbahnhof. “Sie durchquerte“, so steht es Ende der
60er Jahre in einem Nachruf in einer Zeitschrift: “eine der reizvollsten Landschaften des mittleren Westerwaldes“. Die Zeitung schreibt weiter:
“Den Bewohnern des nördlichen Unterwesterwaldes und des westlichen Oberwesterwaldes ist sie noch in bester Erinnerung, wenn sie sich
fauchend durch die weiten Wälder und die schönen Täler des Westerwaldes schlängelte“.
Später wurden noch die Haltestellen Herschbach – Nord, Winkelbach und Abtei Marienstatt eingerichtet.
Die drei Bahnhöfe Selters und Hachenburg als Anschlußstationen und Herschbach
als zentraler Betriebsbahnhof hatten jeweils ein Empfangsgebäude mit den erforderlichen Dienst- und Warteräume, darüberliegender Beamtenwohnung und an das Bahngebäude angebauten Betriebsschuppen.
In der Nähe stand ein kleineres Gebäude mit Abort-Anlage. Hier waren jeweils für Frauen und Männer ein Plumpsklo integriert. Ferner waren vorhanden: Eine bewegliche Viehrampe, ein Lademaß,
eine
Wasserstation und ein Wirtschaftsbrunnen.
In Herschbach hat es im Bahnhofsgebäude sogar bis 1937 eine Wirtschaft gegeben. Der Wirt hieß Karl Busch. Seine besten Tage waren die Lohntage
der in den Gruben tätigen Arbeiter. Aber anstatt den Inhalt der Lohntüte in Flüssiges umzusetzen, gab es auch die Möglichkeit, die Zeit bis zur Abfahrt
des Zuges nützlicher zu verbringen. In der oberen Etage befand sich nämlich die Dienstwohnung eines Eisenbahners, dessen Frau vom Wohnzimmer aus die Herschbacher Filiale der Nassauischen
Sparkasse betrieb.
Im angegliederten Stückschuppen wurde Stückgut angeliefert – zu Fuß oder mit dem Pferdefuhrwerk. Für die Milchkannen auf dem Weg zur
Molkerei nach Hachenburg gab es sogar einen gesonderten Waggon. In Herschbach, dem Betriebsmittelpunkt der Bahn,
befanden sich zusätzlich ein aus Ziegelsteinen erbauter Schuppen mit zwei Gleisen für vier Lokstände, eine an den Lokschuppen angebaute Reparaturwerkstatt und ein Wasserturm. Daneben stand eine
kleiner Unterstand für die Ringbahn.
Im Jahre 1917 erhielten die Bahnhöfe Herschbach und Selters elektrische Lichtanlagen. Die Signalanlagen entsprachen den einfachen Verhältnissen
einer Kleinbahn. Die Bahnhöfe Selters, Herschbach und Hachenburg waren mit einer Fernsprechleitung verbunden, die auch zur Regelung des
Zugverkehrs auf der eingleisigen Strecke diente.Im ersten Vierteljahr wurden 216 einfache und 67 Rückfahrkarten verkauft, heißt es 1907 in einer Aktennotiz.
Wenn die Bahn von Herschbach nach Hachenburg dampfte, ertönten regelmäßig von Niederhattert her in der Nähe der Gaststätte Hof
Sophiental drei schrille Pfiffe. Der Wirt verstand das Kommando und rannte mit schäumenden Bierkrügen zum Bahnhof, wo sich das
Zugpersonal eine Erfrischungspause gönnte, so erzählte es Franz Beuler, ehemaliger Beamter der Kleinbahn, einmal in einem Zeitungsbericht.
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